Ausflug des Profilseminarkurses von Frau Stenman ins Theater Lübeck:
Am 06.04. war es mal wieder so weit: Gemeinsam mit Frau Stenman, die uns, die Q1b, im Profilseminar zum Thema „Dokumentartheater“ unterrichtet, sowie Frau von der Heyde und Frau Krützfeld, unserer Profillehrkraft, ging es ins Theater in Lübeck.
Obwohl die Osterferien an diesem Tag bereits begonnen hatten, waren wir fast vollständig. Das verwundert nicht, schließlich schauten wir uns heute kein klassisches Drama an, wie es uns aus dem Deutschunterricht bereits bekannt war, sondern ein modernes Dokumentartheaterstück. Und damit nicht genug der Besonderheiten, schließlich durften wir an diesem Abend sogar der Premiere des Stückes beiwohnen. Es handelte sich hierbei um Pat To Yans Werk „Eine kurze Chronik des künftigen Chinas“. Nicht nur der Titel, sondern auch die Herkunft des Exil-Hongkonger Autoren ließen uns ein politisches, auf die Lage China und mögliche Zukunftsaussichten fokussiertes Stück erwarten. Aber das war es nicht. Es war so viel mehr als das.
Gleich zu Beginn herrschte eine gespannte Stimmung im Saal. Ausgelöst wurde diese sicher auch durch ein großes Ufo, welches auf der Bühne lag und über das gesamte Stück hinweg nahezu das einzige fremdkörperartige Element des Bühnenbildes blieb, ohne dabei in weiten Stellen des Stückes näher beachtet zu werden. Im Weiteren spielte sich dann eine fragmenthafte Handlung ab. Wir erlebten Fabriken, in denen Menschen nicht arbeiten, sondern in Form von Prostitution und Organraub zum Werkzeug fremder Interessen werden. Wir wurden Zeuge von Gerichtsprozessen, die nichts mehr waren als ein Schauspiel eines vermeintlichen Rechtsstaates mit unabhängiger Gerichtsbarkeit. Auch sahen wir, wie man durch persönliche Beziehungen an die Spitze gelangen, aber auch ruiniert werden kann. Manchmal wurde uns dies deutlich vermittelt, manchmal abstrahiert wie in der Figur einer Katze, die versucht mit Schmerz gegen ihre innere Leere anzukämpfen. Doch genauso wurden uns immer wieder mutige Ansätze des Widerstandes präsentiert. All das sind gewiss interessante Themen, aber was verbindet diese Szenen? Zum einen wäre da die hervorragende Schauspielleistung. Weiter geht es mit der erdrückenden Aktualität der Themen, wie sich etwa an den „Menschenfabriken“ zeigte. Doch nicht nur sind sie aktuell, sondern auch zeitlos, wie die zahllosen Referenzen zu anderen Werken aus allen Epochen zeigen. Dann gilt es auch, das durchgängige Oberthema der Diktatur zu erwähnen. Hierbei tritt China als Inspirationsquelle in den Hintergrund. So kann eine eindrucksvolle Botschaft gesetzt werden: Wir sollten anerkennen, dass sich jede Gesellschaft weltweit aus derselben Spezies zusammensetzt: Dem Menschen, der in diesem Sinne auch überall auf der Welt, Freiheit und Demokratie zugrunde gehen zu lassen droht, wenn man sie nicht ausreichend verteidigt. Die politischen Probleme in anderen Teilen der Welt sind am Ende des Tages auch unsere Probleme. So wurde auch die zunächst sehr unauffällige Protagonistin des Stückes immer weiter in die Netze einer Diktatur hineingezogen, sodass sie sich schließlich nicht mehr als Außenstehende, sondern als ein weiteres Opfer des Systems versteht. Diesen Weg, der die ganze Welt in den Autoritarismus führt, könnte man als dystopische Zukunftsperspektive auffassen. Doch bekanntermaßen ist die Aufmerksamkeitserregung der erste Schritt zur Einsicht und Einsicht der erste Schritt zur Besserung. Also: Verstehen wir das Stück als Weckruf und kämpfen wir!
„Eine kurze Chronik des künftigen Chinas“ wird noch einmal am 10.06. im Lübecker Theater gespielt und kann auch in Buchform als Teil der Trilogie „Post Human Journey“ genossen werden. Ganz sicher war das Stück auch bei uns im Kurs nicht unumstritten. Aber mit Sicherheit hat es uns alle zum Nachdenken angeregt und aufgerüttelt. Viele Zitate sind mir auch jetzt, fast zwei Monate nach dem Besuch, noch fest im Kopf: Die Aussage eines Humanoiden, dass er nicht mehr bedient werden würde, sondern nun Menschen bedient etwa. Oder folgender Satz: „Einsamkeit ist der Beweis, dass man nicht alleine auf der Welt ist“. Die Frage, ob der Kampf für die Bestattung eines in Ungnade gefallenen Bruders, die Sophokles schon im antiken Drama „Antigone“ stellte, auch heute noch das Dilemma, Interessen von Familien und Staatsbürgern abwägen zu müssen, skizzieren kann. Aber, da ich der ganz besonderen Atmosphäre dieses Stückes gar nicht mit einigen wenigen Worten gerecht werden kann - machen Sie sich und macht ihr euch einfach ein eigenes Bild!
Hendrik Heinemeier (Q1b)